Nagaoka-Zeitalter

Das Nagaoka-Zeitalter

Das Nagaoka-Zeitalter, auf Japanisch als Nagaoka-jidai (784–794) bezeichnet, ist nach dem Ort Nagaoka benannt. Dieser befindet sich knapp südlich von Kyōto. Gemessen an seiner kurzen Spanne von gerade mal zehn Jahren, fragt man sich natürlich, was in diesem Zeitalter so Epochales stattgefunden hat. Warum ist es nicht nur als Periode in der Geschichte Japans klassifiziert?
In dieser Zeit fiel eine wichtige Entscheidung. Und zwar den Regierungssitz von Nara nach Nagaoka zu verlegen. Die Verlegung der Hauptstadt gab es zuvor schon mehrfach, wenn z. B. ein neuer Herrscher den Thron bestieg oder sich während der Regierung eines Herrschers bedeutsame Dinge ereigneten.

Verlegung der Hauptstadt

Im Jahre 645 verlegte bspw. Kaiser Kōtoku mit seinem Amtsantritt die Hauptstadt von Asuka nach Naniwa (heute ein Ortsteil im Süden von Ōsaka). Als Kaiserin Saimei im Jahre 655 ein zweites Mal auf den Thron kam, verlegte sie die Hauptstadt wieder nach Asuka. Kaiserin Gemmei verlegte schließlich im Jahre 694 die Hauptstadt von Fujiwara nach Heijō (Nara). Zieht man den damit verbundenen Aufwand in Betracht, der sich in der Bewältigung finanzieller, logistischer und baulicher Probleme äußerte, dann musste es für den Umzug nach Nagaoka gute Gründe gegeben haben.
An erster Stelle ist das Taihō ritsuryō zu nennen, ein Kodex aus dem Jahre 701. Dieser Kodex zum Straf- (ritsu~) und Verwaltungsrecht (~ryō) wurde nach Vorbild der Tang-Dynastie in China geschaffen. Er legte fest, dass ein neuer Kaiser sich einen neuen Sitz für seine Hauptstadt suchen soll, um quasi einen guten Start seiner Regentschaft zu gewährleisten.

Einfluss der Tempel

Ein weiterer Grund für den Umzug war, dass die buddhistischen Sekten gegen Ende des Nara-Zeitalters immer mächtiger wurden und Einfluss auf die Staatsgeschäfte zu nehmen versuchten. Das Kaiserhaus und der Hofadel traten als Mäzene auf und finanzierten viele der Tempel und Klöster aus der Staatskasse oder privatem Vermögen. Manche Adelige begannen sich mit Erreichen eines höheren Alters in ein Kloster zurückzuziehen. Dort verbrachten sie ihren Lebensabend mit dem Studium der Lehre Buddhas, der Kontemplation und dem Gebet.
Wie groß der Einfluss der buddhistischen Tempel tatsächlich war, zeigt aber ein Vorfall, der sich bereits gegen Ende des Yamato-Zeitalters ereignete.

Der Fall der Kaiserin Kōken

Wie groß der Einfluss der buddhistischen Tempel tatsächlich war, zeigt ein Vorfall gegen Ende der Yamato-Epoche. 749 wurde das einzige Kind von Kaiser Shōmu (701 – 756), seine Tochter Prinzessin Abe (718–770), Kaiserin und nahm den Namen Kōken an, was man als „fromm und bescheiden“ übersetzen kann. Und fromm war sie, eine überzeugte und praktizierende Buddhistin. Dank ihrer Verwandtschaft mit den mächtigen Fujiwara (mütterlicherseits) überstand sie in ihrer ersten Regierungszeit einen Staatsstreich. Sie entschied sich im Jahre 758 für ein Klosterleben und bestimmte deshalb einen Nachfolger. Sie behielt aber großen Einfluss auf die Staatsgeschäfte. Im Jahre 764 setzte sie den Regenten wieder ab und übernahm selbst die Staatsgeschäfte unter dem Namen Shōtoku. In Fragen der buddhistischen Lehre stand ihr der Leiter des Hoftempels zur Seite, der Mönch Yuge no Dōkyō (700[?]–772). Als die Kaiserin 761 schwer erkrankte, soll Dōkyō sie wundersam durch magische Riten geheilt haben.

Ein Mönch will Kaiser werden

Die Kaiserin begann eine Affäre mit Yuge no Dōkyō, der sich als ihr Günstling immer höhere Ämter am Hofe verleihen ließ, die eigentlich Mitgliedern der kaiserlichen Familie oder dem Hofadel vorbehalten waren. Sie schuf allein für ihren Geliebten den Posten des buddhistischen Staatsministers, daijō daijin-zenji. Dōkyō setzte das Gerücht in die Welt, das Orakel des Schreins von Usa soll geweissagt haben, dass er nach dem Tode Kaiserin Shōtokus selbst Kaiser werden solle.
Im Jahre 769 befragte der Hofbeamte Wake no Kiyomaro (733–799) das Orakel erneut. Kiyomaro stammte aus einer politisch einflussreichen, buddhistischen Familie. Diese war zwar Förderer des Buddhismus, suchte aber auch dessen Streben nach weltlicher Macht einzudämmen. Diesmal lautete der Spruch des Orakels, dass niemand, der nicht der Blutlinie der Sonnengöttin entstammte, auf den Thron steigen darf. Dōkyō, über diese Nachricht erzürnt, verbannte Kiyomaro ins Exil.

Japanischer Farbholzschnitt von Yoshitoshi 1893; Wake no Kiyomaro
Abb.: Wake no Kiyomaro. Farbholzschnitt von Yoshitoshi (芳年), 1893. Aus einer Reihe von Essays von Hōnen über 24 Personen, die in der japanischen Geschichte als loyal, treu und inspirierend galten (皇国二十四功). Quelle: Japanische Nationalbibliothek.

Bann der Frauen vom Thron

770 starb Kaiserin Shōtoku. Doch auf den Thron folgte Shōtokus Schwager Kōnin (reg. 770–781), der eigentlich aus einer anderen kaiserlichen Linie stammte, die nicht als Thronerben in frage kamen. Folglich wurde aufgrund der Eskapaden der Kaiserin Shōtoku das bis heute gültige Gesetz erlassen, das Frauen von der Thronfolge ausschließt. Schließlich wurde Dōkyō von Kaiser Kōnin ins Exils verbannt. Wake no Kiyomaro hingegen, wurde rehabilitiert und kehrte als Minister an den Hof zurück.

Umzug nach Nagaoka

Kaiser Kōnins Nachfolger, Kaiser Kammu (reg. 781–806), war gewarnt und versuchte sich gegen die Einflussnahme der buddhistischen Tempel zu wehren. Er sah keinen anderen Ausweg, als die Hauptstadt im Jahre 784 zu verlegen. Am besten an einen Ort, wo es noch keine bedeutenden Tempel gab. Der kaiserliche Berater Fujiwara no Tanetsugu (747–785) empfahl Nagaoka als neue Hauptstadt. Nagaoka-kyō lag günstig am großen Fluss Yodo und seinen Zuflüssen Uji und Kizu. Der Yodo-gawa mündet südwestlich in den Pazifik, wo heute Ōsaka liegt, und war damit schon damals ein wichtiger Transportweg. Allerdings stellte der Umzug der Hauptstadt ein mächtiges logistisches und finanzielles Unternehmen dar.
Denn quasi aus dem Nichts musste die nötige Infrastruktur errichtet werden.

Verfluchtes Nagaoka?

In den zehn Jahren, in denen Nagaoka Hauptstadt war, kam es zu unglücklichen Ereignissen. 785 wurde der einflussreiche kaiserliche Berater Fujiwara no Tanetsugu von Rivalen ermordet. Den Mord hängte man Kronprinz Sawara (750[?]–785) an, der verbannt wurde und im Exil starb. Daraufhin ereigneten sich Überschwemmungen. Auf diese folgten Epidemien. 788 kam es zu einer Dürre und im selben Jahr verstarb die Kaisergemahlin Tabiko (759–788) unerwartet. Zudem traten Hungersnöte und Erdbeben auf. Man fürchtete, dies sei die Rache des Geistes von Prinz Sawara.

Neben der religiösen Überzeugung des Kaisers war auch die Tatsache von Belang, dass wirtschaftlich einflussreiche Adelsfamilien allmählich an politischer Macht gewannen. Mit einer erneuten Verlegung der Hauptstadt per Dekret und dem Zwang für den Adel, dem Kaiser dorthin zu folgen, wurden diese finanziell geschröpft. Gleichzeitig ließ der Kaiser den Verwaltungsapparat verringern. Ämter wurden auf seine engen Verwandten verteilt, womit er sich seiner Macht sicher wähnen konnte.

Ende des Nagaoka-Zeitalters

794 befand das Kaiserhaus, dass das benachbarte Heian (das spätere Kyōto) als Hauptstadt besser geeignet sei und entzog sich so all den negativen Einflüssen von Nagaoka-kyō. Das Jahr wählte Kaiser Kammu bewusst, weil es den Beginn eines neuen Sechzigerzyklus nach chinesischem Kalender einläutete. Optimal für den Beginn einer neuen Regierung. Heian bot mehr Platz, und den mächtigen Tempeln wurde vorerst verboten, sich dort anzusiedeln. Mit der Regentschaft von Kaiser Kammu ging zwar kein direkter Bruch mit dem Buddhismus einher, aber der Fokus richtete sich nun auf den Konfuzianismus. Beide Philosophien dienten dem Kaisertum, weil sie eine klar geordnete und rationale Welt verkörperten, die auf das Reich übertragbar war.

In China gab es ein ähnliches Problem zwischen Staat und Klerus. Dort brannte die Staatsmacht Tempel nieder und tötete unliebsame Kleriker.
Kaiser Kammu wollte wohl eine so drastische Reaktion wie in China vermeiden. Mit dem Umzug nach Heian beabsichtigte er im Grunde ein Reich mit einem starken Zentrum zu schaffen und zudem eine Dynastie seines Zweigs der kaiserlichen Familie zu begründen. Hier widersprach das Taihō ritsuryō dem chinesischen Vorbild, weil es Abstammung vor Fähigkeit und Wissen als Legitimation für ein Amt oder Privileg einer Person stellte. Kaiserliche Macht rechtfertigte sich in Japan allein durch göttliche Abstammung, nicht durch ein „himmlisches Mandat“ wie in China, das auch gewöhnlichen Menschen den Weg zur Herrschaft ebnete.

Japanische Begriffe und Schriftzeichen

Abe naishinnō 阿部内親王 (Prinzessin Abe)

Daijō-daijin zenji 太政大臣禅師 (priesterlicher Großminister)

Fujiwara no Tanetsugu 藤原種継

Kammu/Kanmu tennō 桓武天皇 (Kasier Kammu/Kanmu)
Kōken tennō 孝謙天皇 (Kaiserin Kōken)
Kōnin tennō 光仁天皇 (Kaiser Kōnin)

Nagaoka 長岡 (w. langer Hügel)
Nagaoka-jidai 長岡時代 (Nagaoka-Zeitalter)
Nagaoka-kyō 長岡京 (Nagaoka Hauptstadt)

Sawara shinnō 早良親王 (Prinz Sawara)
Shōtoku tennō 称徳天皇 (Kaiserin Shōtoku)

Taihō ritsuryō 大宝律令 (Taihō Gesetzbuch): Taihō, Äraname 701–704

Wake no Kiyomaro 和気 清麻呂

Quellen

Vgl. Bender, Ross: The Hachiman Cult and the Dōkyō Incident. Monumenta Nipponica, Vol. 34, No. 2, Sophia University, Tokyo 1979, S. 125–153.

Vgl. Hall, John Whitney: Das Japanische Kaiserreich, Fischer Taschenbuch Verlag, Fischer Weltgeschichte, Bd. 20, 2009, S. 66 u. 69.

Vgl. Kodansha: Japan – An Illustrated Encyclopedia Vol. 2. Kodansha Publishing, Tokyo 1993, S. 1032 u. 1496.

Vgl. Kreiner, Josef: Kleine Geschichte Japans. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2010, S. 68ff.

Vgl. Van Goethem, Ellen: Nagaoka – Japans forgotten Capital. Koninklijke Brill NV, Brill Japanese studies library, 2008, S. 259–263.