Verfassung Japans

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Verfassung Japans

Die Verfassung Japans, sein Grundgesetz, wird als Nihon Koku Kempō (Verfassung des Staates Japan) bezeichnet. Am 3. November 1946 verabschiedeten Unter- und Oberhaus sowie Kaiser Shōwa (Hirohito) die Verfassung. Schließlich trat sie am 3. Mai 1947 in Kraft.
Zwar basiert der Inhalt auf einem Entwurf der alliierten Besatzungsbehörde, der aber in großem Umfang auch auf japanische Vorschläge zurückgriff. Dennoch ist das Dokument in vielen formaldemokratischen Grundsätzen stark durch US-amerikanisches Rechtsempfinden beeinflusst. Und diese Grundsätze decken sich in manchen Punkten nicht mit japanischen Norm- und Wertevorstellungen. Mitunter ein Grund, weshalb die Nachkriegsverfassung Japans nicht unproblematisch ist und seit den 1950ern kritisiert wird[1].
Allerdings ist dies nicht die erste quasi-demokratische Verfassung Japans. Weil bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs galt die Meiji-Verfassung.

Ausgangssituation

Spätestens seit 1853 wuchs in Japan der Einfluss reformwilliger daimyō und samurai gegen die herrschenden Tokugawa. Viele davon waren schon vor der Machtübernahme des Tokugawa-Schogunats im Jahre 1603 deren Gegner. Das Schogunat offenbarte seine Schwäche, als es der Forderung der USA nachgab, die Grenzen Japans zu öffnen. Denn es hatte der Forderung militärisch nichts entgegenzusetzen. Danach kam es zu Streitigkeiten zwischen Verfechtern des bisherigen Wegs und denen, die nun nach Reformen verlangten. Eine Fraktion der Reformer verlangte nach der Wiederherstellung kaiserlicher Macht.
Der erst 15-jährige Kronprinz Mutsuhito wurde 1867 als Kaiser Meiji inthronisiert (Abb. 1).

Der junge Kaiser Mutushito (Meiji-tennō), 1873. Bild: Uchida
Abb. 1: Junger Kaiser Mutushito (Meiji-tennō), 1873. Bild: Uchida Kuichi (1844-’75), wikimedia commons, Public Domain.

Schließlich stürzten 1868 die kaisertreuen Kräfte in seinem Namen den letzten amtierenden shōgun, Tokugawa Yoshinobu (Abb. 2), sodass der Kaiser wieder regierendes Staatsoberhaupt des Reichs wurde. Um die hochrangigen Anhänger des alten Regimes und Yoshinobu versöhnlich zu stimmen, verlieh die neue Regierung ihnen Adelstitel.

Bild von Tokugawa Yoshinobu, letzter shōgun Japans
Abb. 2: Tokugawa Yoshinobu, letzter shōgun Japans, ca. 1866. Bild ca. 1866; wikimedia commons, Public Domain.

Vorläufer von 1868

Das als seitaisho (w. Dokument über die Regierungsform) bezeichnete Dokument war die erste Verfassung Japans nach dem Sturz der Tokugawa. Dieses wurde schließlich am 11. Juni 1868 verkündet. Laut dem seitaisho wurde alle legislative Macht zuerst dem Großen Staatsrat, dem daijōkan, übertragen. Dieser bestand aus sieben Ämtern. Zwar war auch eine Art Parlament mit zwei Kammern vorgesehen, aber dieser Gedanke wurde erst nicht umgesetzt und dann schließlich aufgegeben. 1885 wurde ein Regierungskabinett eingerichtet, das den Staatsrat ablöste[2].

Meiji-Verfassung von 1890

Somit fehlten dem Reich weiterhin eine Verfassung und eine Volksvertretung, wie sie in den westlichen Ländern existierten. Jedoch sahen die japanischen Berater eben diese als Garanten für stabile und fortschrittliche Monarchien. Und Fortschritt brauchte das zuvor lange und streng isolierte Inselreich Japan nun. Allerdings gab es noch andere Gründe für diese Auffassung. So erhoffte sich die Regierung davon z.B. innere Ordnung und Stabilität. Vor allem sah man den Nutzen einer modernen Verfassung darin, dass sie den Kaiser und seine Herrschaft künftig schützen würde.

Hauptfiguren der Iwakura-Mission, 1871
Abb. 3: Von links Kido Takayoshi, Yamaguchi Masuka, Iwakura Tomomi, Itō Hirobumi, Ōkubo Toshimichi, in San Francisco 1872. Bild: wikimedia commons, Public Domain.

Ebenso erkannten die kaiserlichen Berater, dass das vergleichsweise rückständige Reich vom Westen lernen musste. Weil man aber die Dinge nicht übereilen wollte, schien es den Beratern sinnvoll, erst eine Gesandtschaft nach Europa und in die USA zu schicken (Abb. 3). Eine 150-köpfige Gruppe unter Führung von Fürst Iwakura Tomomi verließ von 1871 bis 1873 Japan. Iwakura, ein Hofadeliger, diente seit 1871 als kaiserlicher Kanzler. Ein prominentes Mitglied dieser Mission war Itō Hirobumi, der schon zuvor 1863 nach England und 1870 in die USA zum Studium entsandt wurde. Erst mit den Erkenntnissen der Iwakura-Mission, wollte die Regierung sich eine eigene Verfassung geben.

Anregung aus dem Ausland

Daher sollte nützliches Wissen gesammelt werden, das der Grundstein für eine japanische Verfassung werden könnte. Itō Hirobumi (Abb. 4), der selbst Mitglied der Iwakura-Mission war und später erster Premierminister Japans, verkündete 1881, dass innerhalb 10 Jahren eine Verfassung ausgearbeitet werden soll. Deshalb wurde er 1882 zwecks Verfassungsstudien nach Deutschland entsandt und mit einem ersten Verfassungsentwurf beauftragt.

Foto von Itō Hirobumi um ca. 1900
Abb. 4: Itō Hirobumi (1841–1909) erster Premierminister Japans und Co-Autor der ersten modernen Verfassung Japans von 1889. Bild: 国立国会図書館の「近代日本人の肖像」、伊藤博文、近世名士写真 其1。Public Domain.

Nachdem die Verfassung aber schon nach acht Jahren fertig war, wurde sie sogleich am 11. Februar als Dai Nippon Teikoku Kempō (w. Verfassung des Kaiserreichs Japan) verkündet (Abb. 5). Diesem Ereignis wohnten auch ausländische Diplomaten bei, die in der Abb. ganz rechts außerhalb der Staatskammer stehen. Man lud ausländische Vertreter hierzu ein, weil japanische Rechtsgelehrte sich an den westlichen Vorbildern orientierten. Den Diplomaten wollte man damit demonstrieren, dass Japan nun zu einem zivilisierten und fortschrittlichen Reich aufgestiegen war. Den westlichen Mächten ebenbürtig. Die Verfassung trat aber erst am 29. November 1890 in Kraft[3].

Verabschiedung der ersten Japanischen Verfassung im Neuen Kaiserpalast, 1889
Abb. 5: Szene der Verabschiedung der Staatsverfassung in der Staatskammer des Neuen Kaiserpalastes (新皇居於テ布式正殿憲法之圖), 2. März 1889. Farbholzschnitt (Triptychon) von Adachi Ginkō (1853 – 1902). Bild: The Metropolitan Museum of Art, New York. Public Domain (OA Open Access).

Kern der ersten Verfassung

Bei der eigenen Verfassung (Abb. 6), ließen sich die Schöpfer der japanischen vor allem von der britischen und preußischen Verfassung beeinflussen. Während die britische für die Gewaltenteilung zwischen Monarchie und Volksvertretung stand, rückte die preußische hingegen die Autorität der Monarchie in den Vordergrund. Die Verfechter des preußischen Ansatzes setzten sich durch, weshalb die Verfassung dem Kaiser weitreichende Macht einräumte. Denn er war göttliches Staatsoberhaupt, daher auch Befehlshaber der Streitkräfte und erster Diplomat seines Reichs. Das heißt, mit dem Recht Krieg oder Frieden zu erklären und Verträge mit anderen Staaten zu schließen[4].

Bild von Seite 3 der Meiji-Verfassung
Abb. 6: Seite 3 der Meiji-Verfassung, 1889. Links die Unterschriften der Mitwirkenden, rechts das kaiserliche Siegel mit Signatur. Bild: Regierung Japans, wikimedia commons, Public Domain.

Grundrechte des Volks

Nachdem Japan für fremde Einflüsse offen war, bildeten sich bald Bürgerrechtsgruppen nach westlichem Vorbild. Diese forderten weitere Freiheiten und Rechte ein.
So wurde z.B. die Familie in der Verfassung Japans zum tragenden Element der Gesellschaft erhoben. Gemeint war das Ideal von drei Generationen in einem Haushalt. Im Grunde genommen eine traditionelle Lebensweise, die aber von nun an rechtstaatlichen Schutz genoss.
Abgesehen davon, wurden die Rechte und Pflichten der Bevölkerung klar definiert. So z.B. das Recht auf Bewegungsfreiheit, auf privaten Besitz und dessen Schutz, auf freie Rede, Versammlungsfreiheit und die Bildung von Vereinigungen u.a.m. Zu den Pflichten zählten die Achtung der Verfassung, das zahlen von Steuern und der Wehrdienst.
Außerdem waren Gerichte und Richter von nun an unabhängige Institutionen. Sie hatten sich allein an der Gesetzgebung des Reichs zu orientieren. Folglich mussten sie auch die neuen Bürgerrechte achten, selbst bei der Strafverfolgung[5].

Verfassung und Parlament

Die Erkenntnisse der japanischen Gesandtschaft ins westliche Ausland waren bedeutend. Denn sie brachten die kaiserlichen Berater zu einer wichtigen Einsicht. Und zwar, dass der Erfolg vieler fortschrittlicher Nationen mit der Beteiligung des Volkes an der Macht zusammenhing. Selbst in Monarchien. Folglich wurde der Aufbau eines Parlaments in der Verfassung verankert. Ebenso regelte sie die ersten Wahlen.
Schließlich wurde die Bildung des ersten japanischen Parlaments, als teikoku-gikai bezeichnet (Abb. 7), vom Kaiser angeordnet. Das Parlament wurde nach britischem Vorbild in zwei Kammern geteilt. Besser gesagt in eine Kammer der Bürgerlichen (jp. shūgiin) und der Adeligen (jp. kizokuin). Schließlich wurden im Juli 1890 insgesamt 300 Vertreter in beide Kammern gewählt, die dann zusammen am 29. November die Verfassung verabschiedeten.

Lithografie einer Sitzung im ersten japanischen Parlament, 1915
Abb. 7: Lithografie einer Sitzung im ersten japanischen Parlament von 1915. Bild: wikimedia commons, Public Domain.

Veränderung und Widerstand

Die Verfassung Japans war für ihre Schöpfer ein Instrument, um das Kaiserreich auf das gleiche zivilisatorische Niveau zu heben, das die westlichen Kolonialmächte des 19. Jh. als ebenbürtig ansehen würden. Allerdings geschah diese nicht völlig ohne inneren Widerstand.
Zuvor privilegierte Gruppen, wie die samurai und daimyō, sahen sich ihrer jahrhundertealten Rechte beraubt. Zudem hielten sie die Wehpflicht für ein Unding, weil einfache Bauern nun militärisch ausgebildet wurden. Deshalb bot man den Feudalfürsten Titel und politische Ämter an. Die Krieger bekamen hohe Beamtenstellen oder Posten im Militär. Dadurch sollte insbesondere der soziale Frieden gewahrt werden.
Ebenso gab es auch unter den einfachen Bürgern Widerstand gegen einige verfassungsmäßige Pflichten. So z. B. gegen die allgemeine Schulpflicht für Mädchen. Bauernmädchen wurden zuvor meist jung verheiratet und waren Arbeitskräfte. Daher schien vielen eine Bildung über die Grundschule hinaus unnötig.

Nachkriegsverfassung von 1947

Die Meiji-Verfassung hatte bis 1945 Gültigkeit. Allerdings verlor sie mit der bedingungslosen Kapitulation des Kaiserreichs Japan zum Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Bedeutung. Die Alliierten besetzten das Land. Folglich verwalteten sie für die kommenden Jahre Japan und entschieden damit über dessen Schicksal.
Ein wichtiges Anliegen der US-Besatzungsbehörde war die Demokratisierung des Landes. Denn man war der Ansicht, dass nur ein demokratisches Japan zukünftig nie wieder den Weg des Krieges gehen würde.
Hierzu war es nötig, bestimmte Überzeugungen der Japaner in Bezug auf das Kaisertum und die soziale Ordnung zu ändern.

Bruch mit Traditionen

Eine neue Verfassung Japans erforderte Veränderungen. Folglich war einer der ersten Schritte, dem Kaiser eine neue Rolle zuzuordnen. Hierzu forderte man von Kaiser Shōwa, sich von seiner Göttlichkeit loszusagen. Die neue Verfassung Japans schrieb dem Kaiser fortan die Rolle als Symbol der Nation zu. Dann folgte die Aufhebung des Zensuswahlrechts zugunsten eines allgemeinen Wahlrechts, wie in den USA. Im zuvor autoritär von Eliten gelenkten Kaiserreich, schien es eben diesen unfassbar, dass nun auch alle volljährigen Bürger das Recht zu wählen haben sollten. Immerhin missachtete dies schlicht die gesellschaftlichen Konventionen und traditionellen Privilegien der Eliten, die sich seit 1868 etablierten hatten. Jedoch war dies nicht mit der US-Besatzungsbehörde verhandelbar.

Problemfelder

Die Nachkriegsverfassung Japans hat neben den oben aufgeführten Brüchen noch andere Problemfelder aufgetan.
Beispielsweise haben sich die US-amerikanischen und japanischen Autoren der Verfassung Japans auf einen pazifistischen Staat geeinigt. Das heißt, dass Japan heute das Recht eines Staates auf Krieg nicht anerkennt. Diplomatie und Kooperation sollten zukünftig zwischenstaatliche Angelegenheiten regeln. Darüber hinaus, und um den pazifistischen Gedanken zu bekräftigen, will Japan sich niemals ein Heer, eine Marine oder Luftwaffe zulegen. Denn die Lehren aus dem Desaster des verlorenen Weltkriegs waren noch zu präsent.
Ein anderes Beispiel ist die Zensur. Jeder Japaner sollte sich eine Meinung bilden können. Allerdings frei von staatlicher Einflussnahme. Die Bürger sollten sich aufgrund gut recherchierter Informationen ein Bild der Dinge machen dürfen. Demnach gibt es keine Zensur von Medien oder Informationsquellen.
Die Realität sieht aber anderes aus. Denn Japan hat Streitkräfte und ebenso existiert eine unterschwellige Zensur der Medien.

Quellen

[1] Vgl. Kodansha (Hg.): Japan – An Illustrated Encyclopedia; Vol. 1 (A-L), 1st Edition, Kodansha Publishing, Tokyo & New York 1993, S. 228f.

[2] Vgl. Kodansha (Hg.): Japan – An Illustrated Encyclopedia; Vol. 2 (M-Z), 1st Edition, Kodansha Publishing, Tokyo & New York 1993, S. 1338.

[3] Vgl. Kodansha (Hg.): Japan – An Illustrated Encyclopedia; Vol. 1 (A-L), 1st Edition, Kodansha Publishing, Tokyo & New York 1993, S. 232, 637.

[4 u. 5] Vgl. Ders., 1993, S. 233f.